Im vierten Teil zur Geschichte der Wasenbrucker Filztuchfabrik widmet sich Hans Amsis der Entwicklung zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg.
In den ersten 40 Jahren des Bestehens der Filztuchfabrik war es für die Arbeitnehmer eine verdammt harte Zeit, wie ein Artikel aus der Arbeiterzeitung vom Jänner 1906 berichtet: „Montag früh brach in der Filztuchfabrik der Firma Hutter und Schrantz in Wasenbruck bei Mannersdorf ein Streik aus. Die Ursache war, dass die Firma die Organisation der Arbeiter nicht dulden wollte. Dies wurde von Herrn Direktor Mutterer den Arbeitnehmern bekanntgegeben. Die Weber und Spinner des Betriebes waren bis auf zehn Mann in der Organisation (Union der Textilarbeiter) und wollten selbstverständlich mit allen Mitteln das Verbot zur Organisation der Unternehmer verhindern.“ Am darauffolgenden Samstag erhielten drei Vertrauensmänner samt ihren Familien die Kündigung, worauf die Niederlegung der Arbeit am Montag erfolgte. Vier Personen machten Streikbrecherdienste. Die Taglöhner und Hofarbeiter sowie einige Hilfsarbeiter, die auf den Ausgang des Streiks keinen Einfluss hatten, wurden nicht aufgefordert, mit zu streiken. Die Stimmung der Streikenden war eine gute. Bezirksvertrauensmann Duda aus Pottendorf leitete mit einem fünfgliedrigen Komitee den Streik. Tags darauf, am Nachmittag, fand eine Versammlung der Streikenden statt, in welcher die nötigen Instruktionen erteilt wurden. Die Arbeiterzeitung schrieb, dass in der Fabrik der Firma Hutter und Schrantz eigentümliche Zustände herrschen würden. In der nächsten Nähe Wiens sei es möglich, dass die Arbeiter 24- und 36-Stunden- Schichten arbeiten müssen. Selbst Frauen und Mädchen würden zur Nachtarbeit herangezogen, ohne dass sich bisher jemand um dieses ungesetzliche Treiben gekümmert hätte. Der Gewerbeinspektor, der längst über diese Zustände von der Organisation informiert worden wäre, hätte bisher noch nichts unternommen, um diesen Unfug abzustellen. Als sich endlich die Arbeiter selbst weigerten, die Nachtarbeit zu verrichten, erklärte die Firma, dass sie die Organisation nicht dulden werde. Es erfolgte die Entlassung der Vertrauensmänner, worauf die Arbeiter, etwa 140 Weber und Spinner, in den Streik traten. Die Bezirkshauptmannschaft Bruck schickte 20 Gendarmen nach Wasenbruck, die in eigentümlicher Weise in die Streikbewegung eingriffen. Die Gendarmen langweilten sich offenbar bei ihrer Aufgabe derart, dass sie in die Arbeiterwohnhäuser eindrangen und die Streikenden energisch aufforderten, doch endlich in die Arbeit zu gehen. Sie sagten den Streikbrechern ihren Schutz zu, wenn sie nur ihren Anordnungen, die Arbeit wieder aufzunehmen, folge leisten würden. In der Wasenbrucker Schulchronik wurde ebenso über den Streik berichtet. Die Arbeiter forderten demnach die Anerkennung der Sozialdemokratischen Arbeiterorganisation und eine bessere Bezahlung der Überstunden. Die außerhalb von Wasenbruck wohnenden Arbeiter nahmen nicht an dem Streik teil. Sämtliche am Streik beteiligten Arbeiter und Arbeiterinnen wurden entlassen und sollten die Werkswohnungen räumen. Nach zweiwöchigem Streik ersuchten sie um Wiederaufnahme in den Betrieb. Bis auf 30 Personen, die ihre Wohnungen räumen mussten, wurden alle Arbeiter wieder aufgenommen.
Dass die Lage in Wasenbruck auch sonst nicht die beste war, geht aus einer Bemerkung des Oberlehrers in der Wasenbrucker Schulchronik anlässlich der Ernennung des Ortsschulaufsehers zum Direktor der Filztuchfabrik in Niemes in Böhmen hervor: „Die Schule verliert an Herrn Elger einen warmen Anwalt, der Schulleiter einen lieben Freund, der ihn durch sein zuvorkommendes und aufrichtiges Entgegenkommen die hiesigen äußerst misslichen Verhältnisse vergessen ließ“. Geprägt war die Situation in Wasenbruck sicher auch durch den ständigen Zuzug neuer Arbeiterfamilien. So geht zum Beispiel aus der Volkszählung des Jahres 1910 für Wasenbruck hervor, dass nur 40 Personen ihre Zuständigkeit innerhalb der Marktgemeinde Mannersdorf hatten. 142 waren im übrigen Niederösterreich gemeldet, 160 in den anderen österreichischen Kronländern, 94 in Ungarn und 32 im Ausland. Dies brachte sicherlich Probleme mit sich, die in der lange gewachsenen Ortsgemeinschaft aber weniger zum Tragen kam.
Schon bald nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges verschlechterte sich die Versorgungslage der Bevölkerung mit Lebensmitteln zusehends. Im Jahre 1911/12 wurde die Fabrik um den Shedbau erweitert, dessen Name von den Wasenbruckern zum „Scheckbau“ verballhornt wurde. Der Begriff „Shed“ bezieht sich aber auf die Sägezahnform der Dachkonstruktion. Im Juli 1915 wurden bereits Verbrauchseinschränkungen bei Fleisch und Fett erlassen. An Dienstagen und Freitagen war der Genuss von Fleisch verboten. Diese Verordnung bezog sich aber nicht auf Fett, fleischfreien Speck, Blut-, Leber- und Presswurst. Bei Übertretungen drohten Geldstrafen bis zu 5.000 Kronen oder Haftstrafen bis zu sechs Monaten. 1916 wurden drei fleischlose Tage eingeführt (Montag, Mittwoch und Freitag). Ab September 1916 wurde auch die Bierabgabe eingeschränkt. Aufgrund der Verknappung der Grundnahrungsmittel gab man ab April 1916 Brot- und Mehlkarten aus. Die Versorgungslage verschlechterte sich mit der Fortdauer des Krieges. Im September 1919 ersuchte die Firma Hutter und Schrantz die Marktgemeinde Mannersdorf, den Grundpreis für die Schrebergärten und Kulturanlagen der Arbeiter- und Beamtenschaft von Wasenbruck günstig zu halten und bedauerte, dass sie derzeit noch nicht in der Lage sei, Mannersdorf mit Strom für Beleuchtungszwecke zu versorgen.
Fortsetzung folgt …
Foto 1: Die Wasenbrucker Fabrik zur Jahrhundertwende (ÖNB, AKON, AK008_084_1906)
Foto 2: Die Wasenbrucker Fabrik zur Jahrhundertwende (ÖNB, AKON, AK008_085_1906)
Foto 3: Die typische Fabriksarchitektur der Gründerzeit bestand noch in den 1970er-Jahren (Sammlung Theobald Grohotolski)