Im fünften und letzten Teil zu den Zeitzeugenberichten blickt Heribert Schutzbier diesmal nach Sommerein und Hof.
Anna K. erzählte 1985 wie und wo sie den Einmarsch der Russen 40 Jahre zuvor erlebt hatte: Als zu Kriegsende 1945 die russischen Soldaten in Sommerein erwartet wurden, herrschte unter der Bevölkerung große Ungewissheit und Angst. Besonders die Frauen und Mädchen der Ortschaft fürchteten, den Russen fast schutzlos ausgeliefert zu sein. Hans Braun, ein ehemaliger Briefträger in Sommerein, der zu dieser Zeit wegen einer schweren Verwundung zu Hause war, kundschaftete im Leithagebirge beim so genannten ‚Schwarzen Brückl‘ eine Stelle aus, die als Versteck für die ersten ungewissen Tage dienen konnte. Die Überlegung von Herrn Braun bestand darin, einen Ort zu suchen, zu dem kein auf der Landkarte eingezeichneter Weg führte und der eine Wasserversorgung ermöglichte. Dies traf genau auf die genannte Stelle zu, wo sich dann Anfang April 1945 einige Tage bevor russische Truppen nach Sommerein kamen, etwa 16 bis 18 Personen einfanden. Sie errichteten über der dort befindlichen Schlucht aus gefällten Baumstämmen ein Plateau, auf das ungefähr ein halber Meter Erdreich geschüttet wurde, um vor eventuellen Tieffliegerangriffen oder Bombensplittern geschützt zu sein. Dort versteckten sich besonders Frauen und Kinder. Sie hatten Proviant für fast zwei Wochen mit und versorgten sich mit Wasser aus dem Bach. Als sich die Lage in der Ortschaft beruhigt hatte, kehrten die Leute nach vier Tagen und Nächten in ihre Häuser zurück.“
Ein zweiter Bericht von Anna K. widmete sich ebenso dem Einmarsch der Russen in Sommerein: „Zuerst versteckte ich mich mit vielen anderen im Wald an jener Stelle, die ich oben beschrieben habe. Dort blieb ich einige Zeit. Da sich aber im Dorf nichts rührte, ging ich wieder nach Hause. Am 4. April 1945 hörten wir im Dorf noch immer nichts. So fuhr mein Vater mit dem Rad bis zum Ortsende von Sommerein, um nachzuschauen. Bald darauf kamen die ersten Russen in den Ort. Ich versteckte mich mit den anderen Frauen des Hauses auf dem Heuboden. Dann hörten wir das Knarren von Wagen und viele fremde Stimmen aus unserem Hof. Nach einiger Zeit hörten wir Betrunkene reden und eine Ziehharmonika spielen. Wie ich später erfuhr, hatte mein Vater den Soldaten Wein bringen müssen. Bevor aber die Russen den Wein tranken, musste mein Vater davon trinken, um zu beweisen, dass der Wein nicht vergiftet war. Nach so einem aufregenden Nachmittag folgte eine noch schlimmere Nacht, die wir in großer Angst verbrachten. Am nächsten Morgen hörten wir Frauen wieder das Knarren von Wagen. Plötzlich kam eine mutmaßliche ‚Henne‘ zu uns herauf. Als sie uns sah, fing sie laut zu gackern an. Meine Mutter fragte leise: ‚Michael, bist du’s?‘ Da erschien ein Russe und fragte: ‚SS?‘ So kam es, dass wir unser Versteck verlassen mussten. Der Soldat aber wusste nicht, was er mit uns anfangen sollte, denn seine Kameraden waren schon zum Abmarsch bereit. Sie gehörten zu einer Kampfeinheit und mussten weiter gegen Wien. So ließ er uns zurück und ging mit seinen Kameraden fort. Sogleich liefen wir mit meinem Vater über den Hof zur Hintausstraße und von dort weiter zur Familie Wojeneschitz. Bevor wir aber unser Ziel erreichten, begegnete uns ein Russe und rief: ‚Stoi!‘ Mein Vater blieb stehen. Er hatte Glück, denn er musste dem Russen nur helfen, einen Wagen zu schieben. Wir Frauen liefen aber weiter. Herr Wojeneschitz stand beim geöffneten Tor auf der Straße und ließ uns ein. Er versteckte uns auf dem Dachboden. Noch viele Wochen danach versteckten wir uns oft dort. Frau Wojeneschitz versorgte uns immer mit Lebensmitteln. Einmal beobachtete ich vom Dachbodenfenster aus die brennende Seidl-Mühle in Trautmannsdorf. Der Krieg war zwar zu Ende, aber die Angst und die Unsicherheit noch lange nicht.“
Ein anonym bleibender Hofer Zeitzeuge schilderte seine Eindrücke des Kriegsendes im Ort so: „In der Karwoche 1945 gab es die ersten Anzeichen für das Näherkommen der Front. Feindliche Flugzeuge kreisten über Hof und beschossen die Truppenbewegungen der Deutschen. Flüchtlinge aus dem Burgenland zogen in Richtung Mannersdorfer Bahnstation. Ein großer Teil der Hofer Bevölkerung versteckte sich in den Wäldern des Leithagebirges und hielt sich dort während der Kampftage auf. Andere Bewohner fuhren am Ostersonntag mit den letzten deutschen Militärautos mit. Sie wurden dann nach Oberösterreich, Bayern und Tirol abgeschoben und kehrten erst im Herbst 1945 einzeln zurück. Manche Leute verkrochen sich auch in ihren Kellern. Stotzing und Au wurden von der russischen Artillerie beschossen. Die russischen Truppen waren aus Eisenstadt kommend nach Stotzing gelangt Der Hofer Volkssturm hätte den Stotzinger-Wald besetzen und verteidigen sollen. Das geschah aber nicht. Am Ostermontag, den 2. April 1945 marschierten die Russen am Vormittag in Hof ein und besetzten den Ort. Am Nachmittag wurde die Ortschaft von der deutschen Artillerie aus Richtung Götzendorf stark beschossen. Hof litt unter enormen Bauschäden. Es wurden auch Mädchen und Frauen vergewaltigt und Wohnungen und Geschäfte geplündert.“
Fritz M. erlebte diese Zeit als Kind: „Ich war beim Einmarsch der Russen acht Jahre alt. Die sowjetischen Panzer blieben auf der Auer Straße beim ersten Kreuz stehen. Die Kavallerie ritt mit ihren Pferden durch die Höfe, da die Ortsbewohner keine Zeit hatten, diese zu schließen. Die Panzer und die Kampftruppen folgten und zogen sofort durch Hof in Richtung Mannersdorf weiter. Einen Tag später kam die Nachhut, der Tross. Diese Truppen plünderten die meisten Häuser. Ich war, wie jedes Kind, sehr neugierig und versteckte mich sehr bald nicht mehr vor den Russen. Es war ja bekannt, dass die russischen Soldaten Kindern nichts zu Leide tun. So versuchte ich, Kontakt aufzunehmen und durfte sogar bald auf einem Panzer durch den Ort mitfahren. Ich rupfte auch Hendln, welche die Soldaten in den Gärten gefangen hatten.“
Maria S. aus Hof erzählte 1985 über die Ereignisse 40 Jahre zuvor: „Die meisten Frauen und Kinder aus Hof flüchteten beim Einmarsch der Russen in den Wald. Unter ihnen waren auch mein jüngster Sohn und ich. Vor unserer Flucht löste ich noch meine Lebensmittelkarten ein, kaufte Brotmehl und buk damit drei Laibe Brot. Mehr ging sich nicht aus. Bei unserer Flucht in den Wald nahm ich die Brote und ein bisschen Schmalz, das noch im Hause war, als Verpflegung mit. Nach einigen Tagen kehrten wir in den Ort zurück. Ich fand unsere Wohnung geplündert. Sogar das Geschirr fehlte. Während der Nacht kamen russische Soldaten und trieben die Schweine aus unserem Stall weg. Einmal wurde ich von einem russischen Soldaten bedroht, doch ich gab ihm einige Zigaretten und er ließ mich davonlaufen.“
Oskar W. erlebte die Ereignisse als Jugendlicher mit 14 Jahren: „Die Zerstörung Hofs erfolgte hauptsächlich durch Bomben. Manche Bombentrichter auf den Feldern waren so tief, dass die Hofer Bevölkerung später Tierkadaver darin begrub. Auf den Feldern waren auch Stanniolstreifen zu finden, welche von Flugzeugen abgeworfen wurden, um ‚feindliches Radar zu verwirren‘. Am 1. April 1945 flüchteten wir in den Hofer Wald und marschierten mit anderen Leuten im Leithagebirge Richtung Sommerein. Von dort gelangte ich auf einem Lastwagen nach Wien. Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Zug nach Attnang-Puchheim in Oberösterreich. Von April bis August arbeitete ich bei einem Bauern und bekam dafür Kost und Quartier. Erst am 20 August 1945 kehrte ich wieder nach Hof zurück.“
Damit enden die 1985 gesammelten Zeitzeugenberichte über die Ereignisse von 1945.
Foto 1: Sommerein in den 1940er-Jahren (Archiv Ava Pelnöcker)
Foto 2: Sommerein nach 1945 (Archiv Ava Pelnöcker)
Foto 3: Hof in den 1940er-Jahren (Archiv Michael Schiebinger)
Foto 4: Landstraße nach Hof (Archiv Ava Pelnöcker)