Online-Gschichtl Nr. 172

Edmund Adler - Sechs Jahre in Sibirien

Michael Schiebinger befasst sich im heutigen Online-Gschichtl mit Edmund Adler und dessen unfreiwilligen Aufenthalt in Sibirien als Folge des Ersten Weltkrieges.

 

Der akademische Maler Edmund Adler (1876-1965) zog nach 1910 mit seiner Familie nach Mannersdorf, wo er vom Bauunternehmer Richard Peer ein stattliches Wohnhaus an der Sommereinerstraße erworben hatte. Die dortige Familienidylle währte aber nicht lange, denn mit dem Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 und der Kriegserklärung der Donaumonarchie an Serbien nahm das Unheil des Ersten Weltkriegs seinen Lauf. So mancher hohe k. u. k. Militär hatte sich so einen Krieg schon lange herbeigesehnt, auch in der Truppe und in der Bevölkerung herrschte im Sommer 1914 eine „Hurra-Stimmung“. Der vermeintlich kleine Gegner Serbien sollte doch kein Problem sein, vier Jahre Krieg, Not und Elend sollten es dann werden!

Am 27. August 1914 wurde auch der Maler und Familienvater Edmund Adler als Gefreiter der Infanterie zum Kriegsdienst eingezogen. Zunächst kam er nach Essling (damals Esslingen, heute Wien 22) und weiter nach Groß Enzersdorf. Im Dezember 1914, Adler war mittlerweile Feldwebel, befand er sich bereits nahe an der Front, im Norden der heutigen Slowakei. Wie Heribert Schutzbier vermutet, dürfte Adler anschließend in die Krämpfe in der Gegend um Krakau (damals Westgalizien) verwickelt gewesen sein. Jedenfalls geriet er mit seiner Truppe am Christtag 1914 in russische Kriegsgefangenschaft – für die nächsten sechs Jahre!

Der Maler gelangte zunächst in zwei Städte im Wolgagebiet, im September 1915 war Adler dann bereits nach Sibirien gebracht worden. Drei sibirische Kriegsgefangenenlager sollte er in den Jahren bis 1920 „kennenlernen“. Das erste Lager befand sich in Petropawlowsk/Петропа́вловск in Westsibirien (Kamtschatka), dort musste Adler den Herbst des Jahres 1915 verbringen. Wie die Korrespondenz Adlers mit seiner Familie zeigt (von Heribert Schutzbier publiziert), sorgte sich der Maler um seine Frau und Kinder in der fernen Heimat. Auch die Sehnsucht nach Pinsel und Palette plagte Adler zusehends.

Im Dezember 1915 befand sich Adler bereits im zweiten sibirischen Lager bei Beresowka/Берёзовка. Dort konnte der Künstler wieder als solcher arbeiten, er fertigte Zeichnungen an, mit denen er offenbar sogar etwas Geld verdienen konnte. Mit der künstlerischen Tätigkeit verging nicht nur die Zeit, sie war für Adler zweifelsohne auch sinnstiftend. Folgt man Heribert Schutzbiers Ausführungen, so dürfte Adler, ähnlich den Offizieren, von schwerer Arbeit befreit gewesen sein, sodass er sich den „schöngeistigen“ Dingen widmen konnte. Der Maler dürfte mit seiner Zeichentätigkeit ein recht gutes Zubrot verdient haben, konnte dieses aber wegen der schlechten Postverbindung offenbar nicht nach Hause senden, wo die Familie die finanzielle Unterstützung gut gebrauchen hätte können. Da konnte es wohl auch kein Trost sein, dass Adler zumindest mit seinem Wiener Kunsthändler in Verbindung bleiben konnte.

Die Edmund-Adler-Galerie verwahrt heute über 60 Zeichnungen Adlers, die in der Zeit von 1914 bis 1920 entstanden sind. Viele der Werke waren in einem konservatorisch schlechten Zustand, sie konnten mittlerweile großteils durch Patenschaften restauriert werden. Adler hatte sie von seiner Gefangenschaft in Sibirien nach Österreich mitgenommen, die Blätter wurden gefaltet und zweifelsohne unter schwierigen Bedingungen transportiert. Für Zeichnungen musste Adler jenes Papier nehmen, dass er als Gefangener auftreiben konnte, so wurden immer wieder mehrere Blätter zusammengeklebt, um das gewünschte Format zu erhalten. Die Ausführungen wurden dann allesamt mit Bleistift umgesetzt. Thematisch beschäftigte sich Adler zunächst mit dem Lagerleben, es wurden die Gefangenenbarraken innen wie außen festgehalten – in all ihren Details, wie es für den „detailversessenen“ Adler charakteristisch war. In die Szenen wurden auch Adlers Kameraden eingebunden, ihnen widmete er zahlreiche Einzelstudien.

Im November 1918, der Krieg war mittlerweile beendet worden und das Habsburgerreich war gerade zerfallen, befand sich Adler weiterhin in Sibirien, die Heimreise nach Österreich wurde schon herbeigesehnt. Doch der Maler kam in ein weiteres Gefangenenlager nach Nikolsk-Ussurisk (heute Ussurijsk/Уссури́йск), ganz im Osten Sibiriens. Die künstlerische Tätigkeit blieb weiterhin ein wichtiges Mittel zur Ablenkung. Adler hatte schon eine große Anzahl an Werken zusammengebracht, die er aber wegen dem Wertverfall des Geldes nicht verkaufen konnte bzw. wollte. Auch das Material, das ihm für die Werke zur Verfügung stand, war nicht das Beste – die Farben gingen zur Neige, neue konnte er nicht auftreiben. Die Zeit des Wartens wurde immer länger, die Hoffnung auf eine baldige Heimfahrt schwand Tag um Tag. Ein ganz besonderes Interesse entwickelte der Maler trotz der Tristesse für die koreanische Bevölkerung, die ein Dorf nahe dem Gefangenenlager von Nicholsk-Ussurisk bewohnte. Adler hat das Dorfleben in Zeichnungen festgehalten, die einen fast ethnografischen Einblick ermöglichen.

 

Im April 1920 gibt es dann einen ersten Lichtblick, Adler kann mit einem Kollegen nach Wladiwostok fahren und dort ausstellen. Nicht nur Zeichnungen sind dabei, sondern auch Leinwandbilder, die in Öl umgesetzt wurden. Adler beschrieb die sieben in Wladiwostok ausgestellten Gemälde, darunter fand sich ein Bild mit Kriegsgefangenen, während die sechs anderen Werke koreanische Themen behandelten. Die Ausstellung wurde letztlich ein Erfolg für Adler, ein Interessent erwarb die sieben Gemälde zu einer stolzen Summe. Edmund Adler konnte damit im Juni 1920 endlich seine Heimkehr per Schiff finanzieren. Im Gepäck hatte der Maler dabei jene Zeichnungen, die bis heute erhalten geblieben sind. Zurück in Mannersdorf dienten die „Sibirischen Zeichnungen“ Adler als Grundlage für Ölgemälde, wie das Porträt des koreanischen Mädchens Punja (heute in der Edmund-Adler-Galerie).

Foto 1: Edmund Adler als Gefreiter der Infanterie, 1914 (Archiv Edmund-Adler-Galerie)

Foto 2: Ansicht des Lagers von Beresowka, 1918, Edmund Adler (Edmund-Adler-Galerie)

Foto 3: Lagerbaracke in Sibirien, 1918, Edmund Adler (Edmund-Adler-Galerie)

Foto 4: Leben in der Lagerbaracke, 1918, Edmund Adler (Edmund-Adler-Galerie)

Foto 5: Leben in der Lagerbaracke, 1918, Edmund Adler (Edmund-Adler-Galerie)

Foto 6: Porträt des koreanischen Mädchens Punja, 1920, Edmund Adler (Edmund-Adler-Galerie)