Online-Gschichtl Nr. 167

Alexander Ritter von Seracsin - Der "Schliemann des Leithagebirges"

Anlässlich seines 70. Todesjahres widmet sich Ava Pelnöcker dem Leben und Wirken des Alexander Ritter von Seracsin, einem frühen Wegbereiter des Mannersdorfer Stadtmuseums und begnadeten Autodiodakten auf dem Gebiet der Archäologie, dessen Werdegang Hans Schwengersbauer 2004 bereits einmal beleuchtet hatte.

 

Der „Schliemann des Leithagebirges“, Ökonomierat Alexander Ritter von Seracsin, wird am 3. September 1883 in Czernowitz in der Bukowina (heute Ukraine) geboren und im „griechisch-orientalischen“ Ritus getauft. Der nach zwei älteren Schwestern sehnlichst erwartete Stammhalter soll einmal in die Fußstapfen des Vaters Theodor treten. Der aus Karansebesch/Caransebeș im Banat stammende Theodor von Seracsin dient, ebenso wie sein Bruder Joseph, als hochdekorierter und schlachtenerprobter Offizier in der k. k. Armee. Erwartungsgemäß absolviert daher auch Alexander zunächst die Militär-Real-Schule in Mährisch-Weißkirchen/Hranice na Moravě. Doch macht seine schwächliche Konstitution die Hoffnung auf eine Militärkarriere bald zunichte, weshalb er den landwirtschaftlich-ökonomischen Ausbildungsweg beschreitet. 1903 absolviert Alexander von Seracsin das renommierte Franzisco-Josephinum in Mödling und beginnt seine Berufslaufbahn als Praktikant bzw. Adjunkt auf den kaiserlichen Gütern in Rutzendorf, Orth an der Donau und Wien.

Schnell erklimmt er die Karriereleiter und so treffen wir ihn 1912 in Mannersdorf bereits als ökonomischen Verwalter der Scharfenecker Güter an, die sich damals noch im Privatbesitz der Familie Habsburg-Lothringen befinden. Dank des gesicherten Einkommens steht nun auch einer Familiengründung Alexander von Seracsins nichts mehr im Wege. Am 21. April 1912 führt er die 21-jährige Augusta Dittrich in St. Ägyd zu Wien-Gumpendorf vor den Traualtar. Bald stellt sich Nachwuchs ein und so hebt der Mannersdorfer Kooperator Schweinberger am 22. Juni 1914 eine Tochter namens Theodora Flavia Matugenta aus der Taufe.

Mutet diese Namensgebung heute auch reichlich bizarr an, so ist sie doch der Begeisterung zuzuschreiben, mit der Seracsin damals Mannersdorf und seine Umgebung auf der Suche nach Altertümern „umpflügt“. Naheliegend also, dass er seine Tochter nach einer im Kindesalter verstorbenen Keltin benennt, deren Grabstele er gerade in Au am Leithaberg ausgegraben hatte. Die namensgebende „Flavia Matugenta“ war ein im 1. Jh. n. Chr. geborenes Sklavenkind, dessen „Besitzer“ ein einheimischer Kelte namens Titus Flavius Biturix war. Die römische Grabinschrift mit stark zerstörter Darstellung des Kindes wurde 1914 in Mannersdorf in Sekundärverwendung in einem spätrömischen Grab entdeckt – das Objekt befindet sich heute im Antikendepot Hainburg.

Vermutlich vom Interesse seines Vaters Theodor angesteckt, der sich nach seiner Pensionierung mit Geschichte und Mineralogie befasste, erarbeitet sich Alexander von Seracsin im Selbststudium die nötigen Kenntnisse für eine Grabungen. Das Fundament hierzu bildet eine umfassende Fachbibliothek, die er später dem Urgeschichtlichen Institut der Universität Wien vermachte. War man in unserer an antiken Fundstätten so reichen Region schon früher immer wieder auf ur- und frühzeitliche Relikte gestoßen, beginnt Serascin bei seinen Grabungen nun methodisch und professionell vorzugehen. Er dokumentiert Funde und Ausgrabungsstätten nach wissenschaftlichen Methoden und publiziert die Ergebnisse in anerkannten archäologischen Blättern wie der Wiener Prähistorischen Zeitung, wodurch er sich unter Fachleuten bald einen exzellenten Ruf erwirbt.

Neben seiner Tätigkeit als Rentmeister der Gutsverwaltung Scharfeneck steuert er die Marktgemeinde Mannersdorf als Bürgermeister von 1919 bis 1921 durch die schwere Zeit nach dem Ende der Monarchie und des Ersten Weltkrieges. In den 1920er-Jahren setzt Seracsin seine Grabungskampagnen höchst erfolgreich in Loretto, Leithaprodersdorf und Schwechat fort. Regelmäßig berichtet die Lokalpresse über neue, sensationelle Entdeckungen, die der „Schliemann des Leithagebirges“ zu Tage fördert.

1924 führt der Katalog der prähistorischen Sammlungen Niederösterreichs Objekte aus zwanzig Bestattungen an, die Seracsin in der Mannersdorfer Flur Reintal entdeckt und dem Museum schenkungshalber überlassen hat. In den Jahren 1935 bis 1938 verzeichnet das Bundesdenkmalamt, das ihn nun auch als Kurator beizieht, 28 seiner in Au, Hof und Mannersdorf gemachten Funde. Beim Wolfsbründl zwischen Kaisersteinbruch und Sommerein entdeckt Seracsin Relikte einer neolithischen Siedlung und stößt in der Ried Grubwiesen auf ein römisches Steinkistengrab, dessen Urne er dem damaligen Ortsmuseum von Dr. Wessely in Mannersdorf übergibt. Leider ging dieser Fund mit den übrigen Exponaten in den Wirren des Jahres 1945 unter. Wogegen sich jene Funde erhalten haben, die 1926 in die Sammlungen des damals jüngst gegründeten Burgenländischen Landesmuseums in Eisenstadt gelangt waren.

Mediales Aufsehen erregt 1929 das Verschwinden eines Mondidols („Mondhorn“ aus Ton, 1300 bis 800 v. Chr. als Herd oder Feueraltar genutzt), welches Seracsin kurz zuvor in Au geborgen hatte. Das dem Wiener Naturhistorischen Museum als Leihgabe für eine Ausstellung überlassene Relikt ist eines Tages plötzlich nicht mehr auffindbar. Wie die Nachforschungen ergeben, hatte man verabsäumt, das kostbare Artefakt in der musealen Rekonstruktion eines hallstattzeitlichen Grabes entsprechend abzusichern. Seracsin klagt daraufhin die Republik und erhält im Berufungsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht nur die Verfahrenskosten, sondern auch 2000 Schilling Schadenersatz zugesprochen, da das Museum seine Sorgfaltspflicht sträflich verletzt hatte.

1931 gelingt es Seracsin, erste Überreste einer prachtvoll ausgestatteten römischen Villa zwischen Bruckneudorf und Parndorf zu Tage zu fördern. Aus Geldmangel können die erhaltenen, überaus kunstvollen antiken Bodenmosaike jedoch erst in den 1950er-Jahren geborgen werden. Heute zählen sie zu den besonderen Glanzstücken der Sammlung des Landesmuseums in Eisenstadt. Damit nicht genug, sammelt Seracsin die beinahe vergessenen Sagen unserer Region und gibt sie in „Unsere Heimat“, den Blättern des Niederösterreichischen Vereines für Landeskunde, heraus.

Nach 1936 ist Seracsin in der Güterverwaltung von Orth an der Donau tätig. In Aspern (heute 22. Wiener Gemeindebezirk), seinem nunmehrigen Lebensmittelpunkt, arbeitet er am Aufbau eines Heimatmuseums mit – wie schon seinerzeit in Mannersdorf. 1943 wird Seracsin korrespondierendes Mitglied des Archäologischen Institutes und erhält für sein umfangreiches literarisches Schaffen den Matthäus-und-Rudolf-Much-Preis von der Akademie der Wissenschaften zuerkannt. Alexander Ritter von Seracsin verstirbt am 7. Februar 1952 und wird am Friedhof von Wien-Kalksburg beigesetzt.

 

Durch das Scheitern seiner Militärkarriere bedingt, hinterließ der ambitionierte Archäologe letztlich ein reiches wissenschaftliches Erbe, mit dem er einen fundamentalen Beitrag zur Erforschung der Lokalgeschichte des Leithagebirges leistete. Seine Verdienste wusste nicht nur das Mitteilungsblatt der Anthropologischen Gesellschaft durch einen Nachruf zu würdigen, sondern auch die Gründerväter des 1979 eröffneten Mannersdorfer Stadtmuseums. In Seracsins Fußstapfen gelang es Friedrich Opferkuh, Heribert Schutzbier und nicht zuletzt Hans Schwengersbauer, die Ur- und frühgeschichtliche Abteilung des Stadtmuseums aus dem Nichts aufzubauen und zu vermehren. 

Foto 1: Porträt von Alexander von Seracsin als Bürgermeister von Mannersdorf (Michael Schiebinger)

Foto 2: Czernowitz in der Bukowina, um 1900, Geburtsstadt von Seracsin (ÖNB AKON, AK120_335)

Foto 3: Geburtseintrag der Tochter Theodora (Matricula, Pfarre Mannersdorf, Taufbuch 1907-16)

Foto 4: Sommereiner Herrschaftsverwaltung als Arbeitsplatz von Seracsin (Archiv Ava Pelnöcker)

Foto 5: Keltisches Brandgrab bei Au, von Seracsin in der Zwischenkriegszeit untersucht (Der Kuckuck, 16. April 1933)

Foto 6: Fahndungsfoto des 1929 gestohlenen Mondidols (Öffentliche Sicherheit, Heft 9, 1929)