Online-Gschichtl Nr. 161

Die verschwundene Sonnenuhr an der Mannersdorfer Pfarrkirche und der Einsiedler Ignatz Weselsky

Nach längerer Pause gibt es diesmal wieder einen Beitrag von Heribert Schutzbier, der sich einem interessanten und kaum bekannten Baudetail der Mannersdorfer Pfarrkirche widmet.

 

Bis zur Renovierung der Mannersdorfer Pfarrkirche in den Jahren 1978/79 befand sich am Chor des Gotteshauses eine Sonnenuhr. Laut Aussage des damaligen Pfarrers Reinhold Schleider sollte auch diese im Zuge der Neugestaltung der Kirchenfassade restauriert werden, da ihr Aussehen im Laufe der Jahre schon sehr gelitten hatte. Leider kam es dann aber ganz anders. Im Gegenteil, die Sonnenuhr wurde einfach abgeschlagen. Schade, denn damit ging ein interessantes Stück Mannersdorfer Geschichte verloren. Ein geringer Hoffnungsschimmer besteht aber noch. Vor der Zerstörung kopierte Martin Hof die Einteilung der Sonnenuhr in Originalgröße auf Packpapier und rettete den Metallzeiger. Beides wird seither im Depot des Stadtmuseums verwahrt. Da sich die Halterung des Zeigers noch immer an der ursprünglichen Stelle neben dem Chorfenster befindet, könnte die Sonnenuhr jederzeit wieder rekonstruiert werden. Schön wäre es!

 

Da vielen Mannersdorfern die Existenz einer Sonnenuhr an der Pfarrkirche heute vielleicht kaum noch in Erinnerung ist, möchte ich in diesem Beitrag an sie erinnern und über ihre Entstehung und ihren Erbauer berichten.

 

Zuerst aber einige Bemerkungen über die Vorgeschichte: Im 18. Jahrhundert stand an der Südwestseite der Pfarrkirche auf dem Gebiet des heutigen Friedhofs ein Einsiedlerhäuschen. Es war 1739 innerhalb eines halben Jahres von dem aus Wien stammenden frommen und „sittenstrengen“ Einsiedler Ignatz Weselsky mit Spendengeldern selbst errichtet worden.

 

Am 3. August 1761 brannte mit einem großen Teil des Ortes auch die Pfarrkirche ab, dabei wurde auch die Turmuhr zerstört. Die Ortsbewohner hatten also keine Möglichkeit, die Tageszeit abzulesen, denn auch die auf dem ehemaligen Türmchen des Schlosses befindliche kleine Turmuhr dürfte damals nicht funktioniert haben.

 

Ignatz Weselsky führte eine Art Tagebuch, das er „Schriften und Lebensbericht“ nannte. Es waren einzelne lose Blätter, die später zu einem Buch gebunden wurden. Es ist erhalten geblieben und im Stadtmuseum in der Abteilung für Volkskunde und Stadtgeschichte ausgestellt. 1772 schreibt Weselsky darin über die Entstehung der Sonnenuhr. Dieser Bericht ist natürlich in der Art der damaligen Zeit abgefasst: „Warum ich vor einigen Jahren an der Kirchenwand eine Sonnenuhr machte: Weil die Ortspfarrkirche keine Turmuhr hat, ja dermalen von letzter Brunst (Brandkatastrophe) her so gar keinen Turm, so ist es oft sehr unrichtig mit der Zeitkenntnis für die Kirchenandachten gewesen. Ich machte also vor etwa 20 Jahren zuerst einen Horizontalkompass auf einer Kelheimer-Platte im Garten meiner Klause, sodass er auch Minuten angibt. Dieser diente der Kirche und Geistlichkeit, ja es beliebte auch den Herren Schloss-Offizieren ihre Sackuhren danach zu kehren. Und bei Eintritt deren oder anderer solcher Personen ereignete sich zuweilen ein Geldalmosen. Doch mir eine damit beschiedene Unruhe zu mindern und meine Kompassarbeit zum allgemeinen Besten, ohne jemandes Steuerlasten zu bequemen, tat ich vor Jahren einen mit dem ‚Garten-Kompass‘ übereinstimmenden ‚Minuten-Kompass‘ an die auswendige Kirchenwand antragen. Davon hatte ich ganze 14 Tage freudige Arbeit. Ich sah vorher, dass der Klause manch Almosen ausbleibe, aber das achte ich nicht, wo ich einen Sittengewinn, des Nächsten Dienst und Gottes Gefallen weiß. Diese Kirchenwanduhr können alle am Weingartenweg Wandelnden sehen und jedermann frei diese brauchen. Sie ist dauerhafter als der ‚Klausen-Kompass‘. Dass aber üble Wetter das Uhrzeichen noch schwerer tilgen können, tat ich um alle Gegenden der Stund, Viertel, ja zu 5 Minuten weise, jene Nägel einschlagen, nach denen es immer von neuem gemessen und renoviert werden kann. Vielleicht hat mir Gott die Selbstfindigkeit zu solchen Uhren bloß darum verliehen, damit ich dies könne, also an das Haus Gottes zu dessen jeden Nächstendienst anwenden sollte und könnte. Denn wir müssen uns nicht bloß selbst loben, sondern vielen anderen zu Nutze sein wollen, als die wir auch vielen anderen ihrer Hilfe für unser einstiges Leben bedürfen. Als ich gedachte Uhr ständig hatte, sprach jemand, ich werde für all meine Mühe daran doch schlechten Menschendank bekommen. Ich dachte, das habe ich nicht gesucht. Heilig, Deo gratias, Amen.“

 

Wir wissen auch einiges über den Einsiedler selbst: Ignatz Weselsky gehörte der Raaber Eremitenkongregation an, deren Mitglieder nach der 3. Regel der Franziskaner mit dem Gelübde der ewigen Keuschheit lebten. Im Mannersdorfer Pfarrarchiv befand sich einst ein handgeschriebenes Buch der Raaber Eremitenkongregation, das leider seit Jahrzehnten nicht mehr vorhanden ist – Mannersdorf war ja lange zur Diözese Györ/Raab in Ungarn gehörig. Das verschollene Buch war als „Altes Copien Protocol der Raaber Eremitenkongregation“ betitelt.

Die nachfolgenden Auszüge aus dem Buch konnte mein Vater Alois Schutzbier in den 1950er-Jahren wenigstens noch abschreiben: Die Statuten der Eremiten der Bistümer zu Wien, Passau und Raab aus dem Jahre 1712 besagten, dass die Eremie nur bei Tag verlassen werden darf, bei Nacht ist kein Frauenbesuch in der Eremie erlaubt. Zwei Brüder dürfen nur mit Erlaubnis des Pater Direktors gemeinsam leben. Verboten ist in Privathäusern zu essen und zu trinken, ausgenommen der Pfarrer lädt ein, da dieser sein vorgesetzter Oberer ist. Der Tag ist in Gebet, geistliche Lesung und Handarbeit eingeteilt. Die Brüder müssen im Jahr öfter beichten und kommunizieren, besonders an den Festtagen der Muttergottes, des Herrn, der Hll. Franz und Josef und aller anderer Ordensheiligen. An den vier Quatember-Mittwochen müssen die Brüder um 8 Uhr früh in Wien an der Generalabsolution teilnehmen. Weit entfernt wohnende Brüder brauchen nur zweimal erscheinen. Alle drei Jahre wird jeder Bruder vom Pater Direktor besucht. Bei seiner Ankunft in Wien muss sich jeder Bruder beim Pater Direktor bei den Franziskanern melden und den Grund seiner Anwesenheit bekannt geben. Dem Ortspfarrer ist Respekt entgegenzubringen und auf sein Verlangen zu ministrieren. Die Brüder müssen Bärte tragen, gegenseitige Besuche abstatten und geistliche Gespräche führen. Vom Pater Direktor einlangende Patente sind sofort von dem Bruder an seinen Nachbar weiterzubefördern. Der Tod eines Klausners ist sofort dem Pater Direktor und dem Altvater zu melden, damit die anderen Brüder verständigt werden können. Die Brüder opfern für den Verstorbenen drei Rosenkränze, drei heilige Beichten und Kommunionen auf. Bei Krankheit eines Bruders ist gleich der Altvater zu verständigen, dass er anordne, dass die Brüder des gleichen Winkels (Sprengels) je 12 oder 13 Tage bis zur Genesung oder Tod dienen. Zum Begräbnis versammeln sich die Brüder des gleichen Winkels zur Teilnahme. Jeder Bruder darf nach seiner Profession arbeiten und Lohn empfangen. Jedoch soll dadurch den Handwerkern und anderen Arbeitern nicht das Brot weggenommen werden. Die Brüder dürfen keine Lebensmittel sammeln. Haben sie nichts zu essen, dürfen sie im nächsten Haus ein Stück Brot erbitten. Der Besuch eines Gasthauses ist verboten – soweit die Statuten.

 

Außer in Mannersdorf gab es in der Region auch in Loretto, in Hof bei der Rosalienkapelle, in Sommerein bei der Wenzelskirche im Wald sowie in Kaisersteinbruch, Margarethen am Moos, Rauchenwarth und Schwechat Einsiedeleien der Brüder der Raaber Eremitenkongregation.

 

 

Im eingangs erwähnten „Einsiedlerbuch“ des Ignatz Weselsky befindet sich auch ein Nachruf für ihn aus dem Jahr 1783, der von einem Mitbruder verfasst wurde: „Ignatio Weselsky, gewester Einsiedler im kaiserlichen Markt Mannersdorf, welcher allda durch 34 Jahr ein gar frommes und auferbauliches Leben geführt, und im Jahr 1773 den 28. Mai, seines Alters aber im 62. Jahre, selig verschieden ist.“ Ignatz Weselsky muss folglich um 1712 geboren und 1739 als junger Mann von 27 Jahren nach Mannersdorf gekommen sein. Nach seinem Tod war die Mannersdorfer Einsiedelei bei der Pfarrkirche verwaist. 1783 wurde die Kongregation im Zuge der Klosteraufhebungen Kaiser Josef II. aufgelöst. Das Einsiedlerhäuschen bestand noch im Jahr 1846, da Pfarrer Ambros Zettl damals im Mannersdorfer Pfarrgedenkbuch den Wunsch äußerte, das an den Friedhof anstoßende Kleinhäuschen, das einst der Einsiedler bewohnte, zu erwerben. Auch am Franziszeischen Kataster von 1819 und auf der Perspektivkarte von Schweickhardt von 1837 ist das Häuschen neben der Kirche gut erkennbar. Es verschwand wohl noch im 19. Jahrhundert.

Foto 1: Die Sonnenuhr vor ihrer Entfernung bei der letzten Fassadenrenovierung (Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 2: Die Sonnenuhr am Chor der Pfarrkirche (roter Pfeil), um 1950 (Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 3: Der erhaltene Auslegearm neben dem Chorfenster (Karl Trenker)

Foto 4: Die Einsiedelei links neben der Pfarrkirche (roter Pfeil), 1837 (Perspektivkarte von Franz X. Schweickhardt)

Foto 5: Ignatz Weselskys Tagebucheintrag zur Sonnenuhr (Archiv Stadtmuseum Mannersdorf)

Foto 6: Sterbebucheintrag des "andächtigen Frater Ignatius Weselsky" (Matricula, Pfarre Mannersdorf, Sterbebuch 1771-88)