Online-Gschichtl Nr. 91

Karl Muzatko, der Häferlflicker von Wasenbruck - Teil 2

Im zweiten Teil zu Karl Muzatko berichtet Johann Amsis diesmal über das Kriegsende und die Besatzungszeit.

 

Als es klar wurde, dass der Krieg zu Ende ging und die Front immer näherkam, hat man überlegt, was man tun kann, wenn der „Feind“ plötzlich dastand. Flüchten war kein Thema, da man in Wasenbruck die eigene Lebensgrundlage hatte und man nicht wegwollte. Die NS-Propaganda hatte überdies nachhaltig gewirkt und die Menschen vor angeblichen Gräueltaten der Sowjets in Angst und Schrecken versetzt. Und jene Sozialdemokraten, die sich nicht mit dem Regime arrangiert hatten, mussten froh sein, noch nicht selbst beseitigt worden zu sein. So blieb vielen nur übrig, die Front lebend zu überstehen und das in einem Bunker weit außerhalb der Ortschaft, damit man nicht den ersten Frontkämpfern in die Hände fiel. Karl Muzatko und seine Schwägerinnen begannen einen behelfsmäßigen „Bunker“ zu graben. Einen Blechverschlag mit dem die mitgenommene Wäsche trocken blieb, hat Karl auch angefertigt. Der Bunker wurde für 8 bis 10 Personen gegraben, mit Holz und einer Plane abgedeckt. Erde, Laub und Stauden wurden darübergelegt, sodass der Verschlag nur schwer zu erkennen war. Am 1. April 1945, es war Ostersonntag, sind sie in ihren selbstgegrabenen Bunker, in der Nähe der Einmündung des Italienergrabens in die Leitha, in Deckung gegangen. Angeblich war schon am 2. April ein sowjetischer Spähtrupp in Wasenbruck, am 4. April waren die Russen dann definitiv da. Die Geschichte von den Begebenheiten im Bunker habe ich ja bereits bei der Biografie von Mathias Niessl erzählt.

Einige Tage hielten sie im Bunker still, die Front war dann weitergezogen und man war neugierig, ob die Wohnung im Fabrikshaus noch ganz war. Karl Muzatko entschloss sich, seine Prothese abzuschnallen und sich nur mit den Krücken auf den Weg zur Wohnung zu machen: „de wean an Krippe scho nix tuan“. Das Haus stand noch, die Wohnungstür war aufgebrochen, die Russen saßen in der Wohnung und spielten Karten. Irgendwie ist es Karl dann gelungen mit den Russen selbst Karten zu spielen, auch Wodka floss. Er gewann Spiel um Spiel und plötzlich realisierte Karl, dass er mit dem Zahlmeister der Kompanie spielte und der jenes Geld verspielte, das er eigentlich auszahlen sollte. Als der Soldat merkte, dass er beim Kartenspiel gegen Karl nicht ankam und Karl Angst bekam, dass er ihn erschießt, hat er den Zahlmeister dann gewinnen lassen. Als Karl später mit „an drum Söcha“ wieder den Bunker erreichte, sagte er nur: „de san eh ned so zwieda“. So traute man sich langsam wieder in die Wohnung, wo Karl noch die Reste des Trinkgelages zu beseitigen hatte, um den Ehefrieden zu wahren.

Da man wusste, dass die Mädchen sich vor den Russen in Acht nehmen mussten, hat man diese kurzerhand in das Kabinett der Wohnung gesperrt und einen Kasten vorgeschoben, sodass man die Türe nicht sehen konnte. Es hatte auch nicht lange gedauert, bis die Russen vor der Tür standen, aber wieder abzogen, da sie keine Mädchen sahen.

In den Nachkriegsjahren war dann das Leben mit den russischen Besatzern zunächst keineswegs leicht. Die Leute hatten nichts zu essen, waren arm und die Männer waren vom Krieg oder der Gefangenschaft noch nicht heimgekehrt. Die Frauen mussten in der Fabrik arbeiten und die Kinder aufziehen. Die Gefahr einer Bleivergiftung oder einer ungewollten Schwangerschaft durch einen Besatzungssoldaten war groß. Eines Tages ritt ein russischer Offizier die Windgasse entlang, entdeckte ein junges Mädchen und wollte ihr nachstellen. Dem Mädchen gelang aber die Flucht in das Trafikgebäude, das so verwinkelt wie ein Fuchsbau war und Unterschlupf bot. Der Russe hatte das Nachsehen und vor lauter Zorn darüber, ist er wie ein Wilder die Windgasse auf-und-abgeritten, um das Mädchen zu finden. In seiner Wut nahm er den Revolver und erschoss daraufhin sein Pferd, das nun tot im Hof des Trafikgebäudes lag. Als der Russe dann verschwunden war, schielten die Wasenbrucker aus ihren Verstecken hungrig auf das tote Pferd, aber keiner traute sich zunächst hervor. Das Pferd lag den ganzen Tag in der Sonne und war bereits aufgebläht wie ein Fesselballon. Als es dann Nacht wurde, hat sich Karl Muzatko getraut und ist mit einem Transchiermesser und seinem kleinen Sohn zu dem Pferdekadaver gegangen. Um besser sehen zu können hatte der kleine Karli eine Sturmlaterne mit der er seinem Vater beim Transchieren leuchtete. Als die anderen sahen, dass die Muzatkos beim Pferd hantierten, sind auch sie hervorgekommen, um „ihren Anteil“ vom Pferd zu erhalten. Alle sind um das aufgeblähte Pferd gestanden, als Karl Muzatko den ersten Stich mit dem Transchiermesser tat. Die Luft entwich und mit laut tönendem Geräusch spritzte eine Fontäne von Blut und anderen Sekreten, aber keinem schreckte das mehr ab. Frau Stojka wollte unbedingt ein Stück von der Pferdeleber, sie hatte schon einige Jahre keine Leber mehr gegessen, sie war wie versessen auf das Stück. In eineinhalb Stunden war das Pferd transchiert und bis auf die Hufe, die übrig geblieben sind, verteilt. Die Wasenbrucker verschwanden wieder in ihre Wohnungen, um endlich wieder ein Stück Fleisch genießen zu können.

Als die Russen einige Zeit da waren, entspannte sich die Lage etwas, die kleinen Kinder hatten bei ihnen Narrenfreiheit und bekamen manchmal ein Stück Schokolade. Ein wenig grob waren die Russen aber schon, sie nahmen die Kinder in die Hände und schupften sie in die Höhe – den Kindern gefiel das, den Eltern weniger. Von den Mongolen unter den Sowjetsoldaten hatten alle Angst, mit denen war nicht gut Kirschen essen. Viele von ihnen waren jung und ungestüm, hatten noch wenig Lebenserfahrung. Eines Tages sind die russischen Soldaten im Park gesessen und haben gesungen, vom „Mütterchen Russland“. Mein Cousin Karli und andere Kinder waren auch dabei. Plötzlich sprangen die Soldaten auf und begannen auf einen ihrer Kameraden einzuschlagen. Die Soldaten hatten Heimweh, ein ungeschriebenes Gesetz war es aber, das nicht zu zeigen. Darum haben sie sich gegenseitig beobachtet, wer die erste Träne rausdrückte, an dem haben sie dann ihre Wut über das Heimweh ausgelassen.

1947, als Karli Muzatko bereits die Schule besuchte, saßen sie eines Tages mit Lehrerin Gretl Ambrosch im Klassenzimmer, als die Tür aufgestoßen wurde und die Russen in die Klasse kamen. Frau Ambrosch ist gleich unter das Lehrerpult abgetaucht als sie die Russen sah. Diese wollten aber gar nichts von ihr, sondern sprachen zu den Buben: „Riba“ – das hieß so viel wie, „Buam gema Fischn“. Das ließen sich die Buben nicht zweimal sagen und gingen zum Karpfendumpf, wo die Russen eine Handgranate hineingeschmissen haben. Die Buam mussten die auf „russische Weise“ gefangenen Fische einsammeln und in einen Jutesack füllen. Dann sagten die Russen „Babuschka“ und die Buben sind mit ihnen zu unserer Oma gegangen. Dort haben ihr die Soldaten den Sack mit den Worten „Oma Machen“ unter die Nase gehalten. Oma hat die Fische in Mehl gewälzt und in Schmalz herausgebacken. Karli ist heute noch in Erinnerung, dass die Russen nur die kleinen Fische wollten, aber die großen Fische die Familie und die Nachbarn bekamen.

 

 

Fortsetzung folgt …


Foto 1: Elisabeth und Karli Muzatko (Archiv Johann Amsis)

Foto 2: Wasenbruck in den 1940er-Jahren (Wasenbrucker Bildersammlung)

Foto 3: Karli Muzatko (Archiv Johann Amsis)

Foto 4: Das Haus der Familie Muzatko (Archiv Johann Amsis)

Foto 5: Elisabeth und Karl Muzatko (Archiv Johann Amsis)