Online-Gschichtl Nr. 121

Als die "Woibehm" nach Wasenbruck kamen

Noch heute werden die Wasenbrucker gerne als „Woibehm“ („Wollböhmen“) bezeichnet, da einst viele Arbeiter*innen der örtlichen Filztuchfabrik von Hutter und Schrantz aus den böhmischen Ländern zugezogen waren. Michael Schiebinger berichtet diesmal über diese Familien, die die entstehende Arbeitersiedlung Wasenbruck mit aufgebaut und geprägt haben.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts setzte in der Österreich-Ungarischen Monarchie eine Industrialisierung ein, die auch die Region um die Haupt- und Residenzstadt Wien erfasste. Im Viertel unter dem Wienerwald, das später Industrieviertel genannt werden sollte, wuchsen die Fabriken wie die sprichwörtlichen Schwammerl aus dem Boden. Vertreten waren dabei verschiedene Sparten, so auch die Textilindustrie, die u.a. in Bad Vöslau, Teesdorf oder Möllersdorf beheimatet war. Es gab aber auch die großen Ziegelfabriken am Wienerberg, wo die „Ziegelbarone“ die „Ziegelböhmen“ als billige Arbeitskräfte anlockten. In den böhmischen Ländern gab es zwar selbst wichtige Industriestandorte, viele Bewohner dieser Kronländer zog es dennoch in das Wiener Umland, wo sie sich gute Arbeit erhofften.

Auch im Gebiet von Mannersdorf brach im 19. Jahrhundert das Industriezeitalter an. In den 1880er-Jahren entstand die Wasenbrucker Filztuchfabrik und kaum zehn Jahre später folgte das Mannersdorfer Zementwerk. Während letzteres am Rand des alten Marktfleckens errichtet wurde und vielfach auf die bestehende Infrastruktur und auf lokale Arbeitskräfte zurückgreifen konnte, war dies an der Wasenbrücke anders. Die dortige Filztuchfabrik entstand mitten am Feld, denn bei der Leithabrücke gab es bis dahin nur die beiden Mühlen der Familien Kornmüller und Klimpke. Es galt also nicht nur genügend Arbeitskräfte hierher zu holen, sondern auch eine entsprechende Infrastruktur, besonders aber Wohnstätten für die Arbeiter*innen samt ihren Familien zu schaffen. Von der Fabriksgründung Anfang der 1880er-Jahre an baute die erste Generation an „Zuagroasten“ die Fabriks- und Arbeitersiedlung Wasenbruck auf. Doch von wo her kamen die Menschen eigentlich? Ein Blick auf die Matrikenbücher der damals zuständigen Pfarre Pischelsdorf ermöglicht hier einen guten Einblick. Zu bedenken ist aber, dass viele Arbeiter*innen damals der Kirche fernstanden und somit nicht alle Wasenbrucker Bewohner und ihre Lebensereignisse in den Kirchenbüchern erfasst werden konnten.

Blickt man auf den Zeitraum zwischen der Fabriksgründung in den 1880er-Jahren und der Jahrhundertwende, so stammte die erste Arbeitergeneration Wasenbrucks aus unterschiedlichen Gebieten der Donaumonarchie. Einige Arbeiter*innen kamen direkt aus Mannersdorf, den Nachbargemeinden oder den nahen Ortschaften des Königreichs Ungarn. Auch aus anderen Teilen Niederösterreichs und aus Oberösterreich zogen Familien zu. Eine sehr große Gruppe der ersten Generation hatte ihre Wurzeln aber in den Ländern der böhmischen Krone. Sie wurden von den Einheimischen und den Wienern mit dem Sammelbegriff „Böhmen“ versehen, teils war dies auch abschätzig gemeint. Tatsächlich kamen die Zugewanderten aber aus dem Königreich Böhmen, der Markgrafschaft Mähren und dem Herzogtum Schlesien. Auch dürften sie unterschiedliche Muttersprachen nach Wasenbruck mitgebracht haben. Viele Böhmen, Mährer und Schlesier sprachen Deutsch, besonders wenn sie aus den Grenzgebieten oder den Sprachinseln kamen. Andere werden wiederum Tschechisch gesprochen haben, die Schlesier mitunter auch Polnisch. Unter ihnen wird es auch etliche gegeben haben, die mehrere Landessprachen ihrer Heimat verwendeten. Letztlich kamen die „Woibehm“ ja selbst in eine Gegend, wo neben Deutsch auch Kroatisch und teils Ungarisch gesprochen wurde. In Wasenbruck wird damals also eine interessante Sprachenvielfalt geherrscht haben, wenngleich wohl Deutsch zur Verständigung genutzt worden sein dürfte. Nationale und teils nationalistische Befindlichkeiten waren aber damals in der Monarchie und besonders zwischen den Sprachgruppen in den böhmischen Ländern leider alltäglich.

Von wo genau kamen nun die „Böhmen“, eine kleine Reise in die damaligen Kronländer wird es zeigen. Beginnen wir ganz im Nordosten, in Schlesien, das ja geteilt war, in einen österreichischen und einen preußischen Teil. Österreichisch- oder Mährisch-Schlesien war dabei eines der industriellen Zentren der Monarchie, vielleicht kamen deswegen nur verhältnismäßig wenige Schlesier nach Wasenbruck. So stammte die Fabriksarbeiterfamilie Tögl aus Großstohl/ Velká Štáhle. Bruno Wazac, ein Tuchmacher, kam wiederum aus Jägerndorf/ Krnov. Franz Gebauer, ein Unterarbeiter, zog aus Spachendorf/ Leskovec nad Moravicí zu.

Weiter südlich aus Mähren kamen schon wesentlich mehr Arbeiter*innen nach Wasenbruck. Mähren war traditionell stark mit der Residenzstadt Wien verbunden, nicht von ungefähr wurde Brünn/ Brno immer gerne als „Klein-Wien“ bezeichnet. Aus der mährischen Landeshauptstadt selbst verschlug es aber kaum Arbeitskräfte in unsere Gegend, nur der Weber Michael Skelenarz kam aus Brünn nach Wasenbruck. Eine weitere wichtige Stadt in Mähren war und ist Olmütz/ Olomouc, von ihr stammte der Magazineur Franz Zwatora. Gleich mehrere Wasenbrucker Fabriksbeschäftigte hatten ihre Heimatstadt Iglau/ Jihlava hinter sich gelassen. Iglau war ein wichtiges Bergbauzentrum in den böhmisch-mährischen Höhen und zudem eine deutsche Sprachinsel. Von dort stammten bspw. der Spinnmeister Karl Hatraker, die Arbeiterin Anna Höppe und der Arbeiter Peter Zoufal.

Die meisten Mährer kamen aber aus den ländlichen Regionen und den Kleinstädten nach Wasenbruck. Der Fabriksarbeiter Johann Titor stammte aus Gutwasser/ Dobrá Voda u Křižanova, Marie Dolak kam aus Mährisch Budwitz/ Moravské Budějovice, der Weber Franz Dubski hatte die Kleinstadt Humpoletz/ Humpolec verlassen, Eduard Frömmel zog aus Frankstadt/ Frenštát pod Radhoštěm zu, Johann Kommenda kam aus Zblowitz/ Zblovice, Anna Kadluba stammte aus Hulken/ Hluk und der Schlosser Ignaz Schmol hatte seine Wurzeln in Mährisch Kromau/ Moravský Krumlov.

Das größte der drei böhmischen Länder war aber Böhmen selbst, wo auch der Großteil der „Woibehm“ seine Heimat hatte. Die meisten Arbeiter*innen kamen aus West- und Südböhmen, also Landstriche, die bis heute bäuerlich geprägt sind und nur wenige Industriebetriebe aufwiesen. Verständlich also, dass sie in den Industriebetrieben nahe der Residenzstadt Wien eine bessere Zukunft und ein gutes Einkommen für sich sahen. Die „Woibehm“ waren teils ohne Ausbildung und wurden wohl erst in Wasenbruck angelernt. Andere kamen bereits aus Handwerksberufen, wie die Spinner oder Weber. Ein solch vorgebildeter Mann, der aus Böhmen kam, war bspw. Johann Boskovsky. Auch Carl Mejda aus Wällisch Birken/ Vlachovo Březí hatte das Weberhandwerk erlernt, ebenso Michael Sokol aus Hlinsko/ Hlinsko v Čechách. Fabriksarbeiter*innen waren wiederum Josef Křiž aus Sobieslau/ Soběslav, Franz Krucky aus Teinitz/ Týnec, Franz Kubu aus Pilgram/ Pelhřimov, Theresia Mundl aus Depoldowitz/Děpoltice, Franz Rokyta aus Königseck/ Kunžak, Agnes Schlechta aus dem Bezirk Pilgram/ Pelhřimov oder Josef Stastnik aus dem Bezirk Chotieborsch/ Chotěboř.

Aus dem industriell geprägten Norden Böhmens kamen verständlicher Weise nur ganz wenige Beschäftigte nach Wasenbruck, wohl aber um ihr in der Heimat erlerntes Wissen nun auch in Niederösterreich einsetzen zu können. Ein solcher Nordböhme war Webermeister Anton Luh aus Johannesthal bei Reichenberg/ Janův Důl. Die Stadt Reichenberg/ Liberec war ein wichtiges Zentrum der Textilindustrie. So verwundert es auch nicht, dass auch der Direktor der Wasenbrucker Filztuchfabrik, Karl König, von dort stammte. König war 1845 in Reichenberg als Sohn des Tuchmachermeisters Josef König und dessen Gattin Magdalena geboren worden. Karl führte das Gewerbe seines Vaters fort und wurde ebenfalls Tuchmachermeister. Im September 1872 nahm er in der Filialkirche von Johannesthal/ Janův Důl die 20-Jährige Johanna Salomon zur Frau. Die Braut entstammte selbst einer Tuchmacherfamilie. Als Trauzeugen fungierten Wenzel Siebeneicher und Josef Posselt, beide Vertreter alteingesessener Reichenberger Tuchmacherfamilien. 1887 befand sich Karl König mit seiner Familie bereits in Wasenbruck, er dürfte daher wohl der erste oder zweite Direktor der noch jungen Filztuchfabrik gewesen sein.

 

Es zeigt sich also, dass der Spitzname „Woibehm“ für die Wasenbrucker einen historischen Hintergrund hat. Die Familien aus den böhmischen Ländern hatten die Arbeitersiedlung mit aufgebaut und in bedeutender Weise geprägt, sei es im Direktionsbüro gewesen oder am Webstuhl. Noch heute klingen viele Familiennamen von damals vertraut und sind in Mannersdorf und den Nachbarorten ringsum vorzufinden. 


Foto 1: Die Filztuchfabrik von Hutter und Schrantz in Wasenbruck  (ÖNB/AKON, AKON_AK008_084_1906)

Foto 2: Die alte mährische Landeshauptstadt Brünn/Brno (Michael Schiebinger)

Foto 3: Jägerndorf/Krnov in Mährisch-Schlesien (ÖNB/AKON, AKON_AK095_012)

Foto 4: Iglau/Jihlava im böhmisch-mährischen Hügelland (Michael Schiebinger)

Foto 5: Reichenberg/Liberec, das Zentrum der Textilindustrie in Nordböhmen (ÖNB/AKON, AKON_AK101_190)